Worldbuilding „on the go“

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„Pantser“ – vom englischen Ausdruck to fly by the seat of your pants – schreiben direkt drauflos. Sie entdecken ihre Geschichten beim Schreiben, oft inklusive überraschender Wendungen und ungeplanter Twists. Ich nenne das ganz gern: auf Sicht fahren.
„Plotter“ hingegen planen im Voraus. Sie entwickeln Szenenfolgen, Charakterbögen, Welten und Handlungsstränge, bevor auch nur ein einziges Wort aufs digitale Papier kommt. Dazwischen gibt’s natürlich unzählige Mischformen – Autor:innen, die grobe Strukturen festlegen, aber sich auch Raum für spontane Ideen lassen.
Und ich? Ich bin Plotter. Meistens.

Nach meiner ersten Urban Fantasy-Geschichte, die in der Stadt Eár Galion spielte, wusste ich: Das war nur der Auftakt. Am Ende wurden es 18 Kurzgeschichten (manche davon ziemlich umfangreich) und ein Roman. Ab der zweiten oder dritten Geschichte begann ich, ein Lexikon anzulegen – mein persönliches Nachschlagewerk für alles, was sich in dieser Welt entwickelte.

Das war quasi „Worldbuilding on the go“. Kein großes Konzept im Vorfeld, sondern eine Welt, die mit jeder Geschichte gewachsen ist – aber trotzdem strukturiert blieb. Alle Einträge in meinem Lexikon sind alphabetisch sortiert und mit kurzen Erklärungen versehen. So konnte ich schnell auf Informationen zurückgreifen und Widersprüche vermeiden. Nach jeder abgeschlossenen Geschichte durchforstete ich den neuen Text gezielt nach neuen Begriffen, Orten, Personen oder Konzepten – und ergänzte sie im Lexikon.

Hier ein paar Beispiele aus den Kategorien:

  • Personenregister & historische Figuren

  • Berufe & kirchliche Ämter (mit Zweigen und Hierarchien)

  • Geografie von Galion und den umliegenden Ländern

  • Stadtstruktur von Eár Galion

  • Palastarchitektur des Potentaten

  • Orden & Klöster

  • Sprichwörter & Redewendungen

  • Schwerter mit Namen

  • Magie & Götterwelten

  • Geschichtliche Zeitleisten

  • Maßeinheiten (inkl. Apotheker-System)

Gerade das letzte Thema mag seltsam erscheinen, aber in einer Welt, in der ein Roman-Protagonist in „Bilsenkrauts Spezial-Apotheke“ am Tresen Meuchelmörder berät, war ein eigenes System für Apotheker-Maße und -Gewichte einfach notwendig. (Kleiner Side Fact: Ich habe mein Maße-System aus historischen Maßeinheiten abgeleitet, incl. der nicht-metrischen Untereinheiten. Der Besuch alter Apotheken – etwa in Heidelberg – war dabei richtig hilfreich.) Die Gramm- und Milliliter-Angaben sind für mich zum Vergleich.

3а. Apothekermaße Gewicht
1 Gran (0,0625 g)
1 Skrupel (zu 20 Gran) (1,25 g)
1 Quäntchen (zu 3 Skrupel) -weniger 1/3 Lot (3,75 g)
1 Apoth.-Unze (zu 8 Quäntchen) 2 ¼ Lot (30 g)
1 Pfund (zu 12 Apoth.-Unzen) = 3 Markt-Unzen + 3 Lot (360 g)
(1 Pfund entspricht somit 5.760 Gran)

5a. Apothekermaße Flüssighohl-
1 Strich (1 ml)
1 Pipette (5 ml)
1 Apoth.-Fläschchen (50 ml)
— Eár Galion Lexikon

Während manche Plotter monate- oder sogar jahrelang an einer Karte mit elf Nachbarstädten, Götterhierarchien und Architekturphilosophie tüfteln, ist mein Ansatz eher hybrid: Ich entwickle die Welt Stück für Stück beim Schreiben – aber ich dokumentiere alles sauber und mit System. Das Beste daran? Ich sehe sofort, wo die weißen Flecken auf der Landkarte liegen. Diese unentdeckten Lücken werden schnell zu inspirierenden Ansatzpunkten für neue Geschichten. So bleibt die Welt lebendig – und es gibt immer Stoff für mehr.

Ob du nun ein Romanprojekt planst oder einfach nur Geschichten schreibst: Ein Lexikon kann dein geheimes Supertool sein. Hier sind ein paar Vorteile:

  • Du bleibst konsistent. Kein Vergessen von Ortsnamen oder Götterbeziehungen.

  • Du hast immer neue Storyansätze. Lücken = neue Ideen.

  • Du baust ein eigenes Nachschlagewerk. Super hilfreich, auch wenn Jahre zwischen den Geschichten liegen oder du Ü50 bist (wie ich).

  • Du erkennst Zusammenhänge, die du vorher vielleicht gar nicht geplant hattest.

Und mal ehrlich: Selbst wenn am Ende kein Roman draus wird, hast du zumindest ein richtig cooles Geschichten-Universum erschaffen, welches sich auch in Form von Kurzgeschichten veröffentlichen lässt.

Ob du lieber planst oder drauflos schreibst – dein Weg ist der richtige, solange du dich dabei wohl fühlst. Vielleicht hilft dir mein Ansatz ja, deinen eigenen Stil zu finden oder weiterzuentwickeln. Wenn du Fragen hast oder selbst ein Worldbuilding-System nutzt, schreib mir gerne! Ich liebe es, mich mit anderen Schreibenden auszutauschen.

Und wer weiß – vielleicht ist dein Lexikon der Anfang von etwas richtig Großem!

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