KI als Schreibpartner: Mehr Ghostwriter als Muse?
[Fotocredit: ChatGPT]
Ein Beitrag über die Frage: Wieviel kreative Kontrolle will ich eigentlich abgeben? Wieviel KI ist „noch ich“ – und wo fängt das Glatteis an?
Ich “bespreche” mittlerweile mit ChatGPT meine Ideen, nutze es zum Recherchieren und überlege damit den Aufbau der Geschichte. Mittendrin lasse ich die KI sich jedes fertige Kapitel anschauen. Zwischendurch stelle ich immer wieder Fragen, oder benutze Prompts, die ich hier im Blog bereits beschrieben habe. Am Ende lektoriere ich alles damit. Siehe Blogbeitrag.
Gegenüber “früher” hat sich also so einiges geändert.
Als ich in 2013 den Roman “Drei wie Pech & Schwefel – Homunculus” geschrieben habe, traf ich mich wöchentlich mit einer hochgeschätzten Freundin, um die neuen Szenen vorzulesen, dann diskutierten wir darüber. Wie habe ich diesen Treffen entgegengefiebert! Selbstverständlich würde ich mit Kusshand jederzeit wieder tauschen, aber die Zeiten haben sich leider geändert und die liebe Freundin habe ich seit Corona nicht mehr gesehen. Seufz!
ChatGPT ist also die zweitbeste Option – bevor ich gar niemanden habe, um über das Schreiben zu sprechen.
Beim Schreiben bin ich szenisch unterwegs, eine Szene nach der anderen. Natürlich habe ich bei den meisten Szenen Lust, sie zu schreiben, schließlich ist es mein Hobby und ich entscheide, wohin die Reise geht. Doch es gibt auch immer wieder Szenen, die ich eher als Last empfinde. Bei der Kurzgeschichte “Das Zeitalter der Vorsehung” kam ich bis zu einer Stelle, in der die Protagonisten bei fast völliger Dunkelheit auf einen Ghul treffen. Da es mein erster Ghul war, war ich unsicher und bat deshalb den DARKER FANTASY WRITER innerhalb von ChatGPT vorab mit reichlich detallierten Angaben, mir die Szene zu schreiben. Was mir die KI ausspuckte, war zu 70 % das Nachfolgende, den Rest habe ich gestrichen, bearbeitet, ergänzt, umgestellt:
Die Dunkelheit vor ihnen schien sich zusammenzuziehen, zu verdichten.
»Da ist etwas ...«, flüsterte Cassia, die eine Wärmesignatur voraus ausmachte. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Atemzug. Peregrinus blieb abrupt stehen, hielt die Frauen davon ab, weiterzugehen. Eine beißende Ausdünstung malträtierte ihren Geruchsinn, faulig und schwer wie verwesendes Fleisch. Cassia rümpfte die Nase.Im nächsten Moment schälte sich eine Silhouette aus der Finsternis. Die Umrisse eines hageren, gekrümmten, aber mannshohen Wesens zeichneten sich ab – unzweifelhaft ein Ghul! Er lauerte, fast reglos, nur das unstete Zittern seiner Gestalt verriet die unnatürliche Gier, die ihn antrieb. Seine Augen waren rot wie schwelende Kohlen.
Reflexartig zogen Cassia und Eirene ihre Klingen, doch Peregrinus hob die Hand, hielt sie zurück. Er atmete ein. Ein unglaublich tiefes Grollen baute sich in seiner Kehle auf, dann knurrte er. Es war ein Laut, so wild und animalisch, wie es die Frauen noch nie in ihrem Leben gehört hatten.
Der Ghul erstarrte. Für einen Moment zitterte er, als ob eine unsichtbare Hand nach ihm griff. Dann, ohne einen Laut von sich zu geben, löste er sich zurück in die Schatten auf. Er verschwand so lautlos, wie er gekommen war. Der faulige Gestank wehte davon, verblasste, als wäre er nie da gewesen.
Die bedrückende Stille kehrte zurück, niemand sprach.
Cassia warf Peregrinus einen Blick zu, doch seine Augen blieben auf den Punkt gerichtet, an dem der Ghul verschwunden war. Es schien, als würde er sicherstellen wollen, dass die Dunkelheit keine weitere Kreatur mehr gebar.
»Puh!«, sagte Eirene leise und stieß den angehaltenen Atem aus.
Ich sag mal so: not bad.
Anfangs redete ich mir schön, dass nach meinen ganzen Korrekturen, dem Umstellen der Sätze und dem wiederholten Bearbeiten es “irgendwie” zu meinem Text geworden war. Doch es ließ mich nicht los, Ich legte den Ursprungstext der KI und das Endergebnis nebeneinander, und markierte mit dem Textmarker alles, was von der ursprünglichen Antwort von ChatGPT übrig geblieben war. Es war eine ganze Menge. Und deshalb fühlt sich die Szene auch ein Jahr später für mich noch immer so “falsch” an – wie ein Plagiat. Sicherlich sind manche Autoren weniger moralisch hochstehend unterwegs, schreiben mit Sudowrite ganze Romane, während die KI fleißig Szene für Szene raushaut.
Also, nennt mich altmodisch, aber meiner Meinung nach gilt noch immer das Motto: “unrecht Gut gedeiht nicht”. Es bedeutet, dass Besitz, der auf unrechtmäßige Weise erlangt wurde (z. B. durch Diebstahl, Betrug oder Gewalt), auf Dauer keinen Bestand hat – er bringt kein Glück, verdirbt seinen Besitzer oder wird irgendwann wieder verloren. Wer z.B. Essays mit KI-Hilfe schreibt, zeigt nicht nur weniger Gehirnaktivität, Erinnerungsleistung und kreative Problemlösungsstrategien. Die Teilnehmer berichteten zudem, dass sie sich nicht mehr als »echte« Urheber ihrer Texte fühlten. [Quelle]
Um ehrlich zu sein schreibe ich, um mich währenddessen toll zu fühlen und nach Fertigstellung auch etwas stolz auf mich zu sein, wenn es gut gelungen ist – wenigstens in meinen Augen. Doch diese Szene verdirbt mir den Spaß an der ganzen Geschichte.
Ein guter Mittelweg ist vielleicht, sich eine Szene, die einem schwerfällt, von der KI skizzieren zu lassen. Dann kann man dem Ganzen Leben einhauchen, ohne sich danach wie ein Plagiator zu fühlen.
Um die Frage abschließend zu beantworten: ChatGPT ist für mich eher eine Notfall-Muse als ein Ghostwriter.
Was meinst du dazu?
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